Mathe auf der Nebenspur

Fraktales-Lernen ordnet die Mathematik konsequent dem Kind unter.

Für Fraktales Lernen ist Mathe Mittel zum Zweck; ein Werkzeug, um die Persönlichkeit der Kinder zu stärken und wachsen zu lassen. Dass sie dann auch Mathe lernen ist gewissermaßen eine Nebenwirkung.

Im Folgenden soll es darum gehen, dass sich beim unbewussten Lernen die eigentlichen Inhalte oft auf der Nebenspur verbergen. Warum bei dieser Art des Lernen das Gehirn glücklich ist, und wie genau sich die Einflüsse auf das Selbstbewusstsein und die Persönlichkeit des Kindes auswirken, soll ausdrücklich nicht Inhalt dieses Textes sein. Hierzu wird es einen eigenen Eintrag geben.

Bei Fraktalem Lernen führt der Lernweg von den großen Zusammenhängen zu den Details. Die Kinder dürfen gewissermaßen einen Blick von oben auf die Mathematik und damit in die Zukunft werfen. Gute Schüler befähigt dieser Blick, frei drauflos zu stürmen. Und die, die Mathe nicht verstehen, sehen (oft zum ersten Mal) was Mathe wirklich ist.
Der Blick von oben steht dabei in keiner Weise in Widerspruch zum Kern-Curriculum. Im Gegenteil: die investierte Zeit ist gut angelegt: denn …

  • wenn das Kind nicht mit sich selbst in Konflikt steht;
  • wenn es verstanden hat, was Mathe ist;
  • wenn es weiß, wie die Themen zusammenhängen;
  • wenn es Lust hat, das, was es bereits kennen und lieben lernte, noch besser zu verstehen;

…dann geht Lernen wesentlich schneller.

Fraktales Lernen legt bewusst nicht fest, wann genau die Kinder was verstehen (sollen). Die Mathematik als ganze wird vorgestellt, oft mehrere Themen gleichzeitig und es wird gezeigt, wie wir mit ihnen umgehen. Das Kind bzw. das Gehirn des Kindes bestimmt selbst, wann es was abschließend versteht.  Dieser Weg vom Ganzen ins Detail hält Überraschungen bereit. Und wenn das Kind (plötzlich) eine neue Struktur in diesem großen Bild erkennt, sind starke Emotionen die Folge, bis hin zu tiefem Glück. Nicht selten wächst ganz allgemein die Lust auf Lernen.

Der Weg vom Ganzen ins Detail ist jedoch nur derjenige Aspekt dieser Methode, der sofort ins Auge fällt. Zwei Beispiele sollen zeigen, dass sich mit der Vogelperspektive auch andere Prinzipien in ihr Gegenteil verkehren:

  • bewusst   <—> unbewusst,
  • Inhalt       <—> Prozess,
  • verstehen <—> sehen.

 

Trigonometrie als Suchspiel

Das Thema Trigonometrie ist bei Fraktalem-Lernen schon in der 5ten Jahrgangsstufe Thema. Wie eingangs angemerkt, geht es hier nicht um den Inhalt selbst, sondern um das Kind: sein Selbstbewusstsein. Und es geht um Gefühle wie Sicherheit und Vertrauen. Die Schüler erfahren, dass sie ein Thema, das erst in ein paar Jahren auf dem Lehrplan steht, verstehen können. Nicht in allen Einzelnheiten und Aspekten. Aber dafür ist ja auch noch Jahre Zeit. Diese Erfahrung macht sie stolz auf sich selbst. Und kein Thema eignet sich so gut, den Kindern Selbstbewusstsein einzuhauchen und ihnen Sicherheit zu schenken, wie die Trigonometrie. Hier zunächst einmal die Struktur, die den Schülerinnen vorgestellt wird:

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Die Lehrkraft geht die „Sätze“ von oben nach unten durch und frägt jedesmal:

  • Habt ihr 2 Winkel?
  • Habt ihr 1 Pärchen?
  • Habt ihr kein Pärchen?

(Der Pythagoras wird hier nicht gebraucht, ist jedoch nötig, damit das „Gebäude steht (aus Winkeln machen wir Winkel, aus Seiten Seiten und dann machen wir sogar aus Seiten Winkel und umgekehrt)).

Sobald ein Kind eine der Fragen positiv beantworten kann, lautet die nächste Frage: Was können wir dann machen? Die Antwort steht auf dem Plakat. Zuerst sehen, dann lesen. Verstehen hat hier –noch– keinen Platz. Eine neue Größe ist „gefunden“ und der Prozess geht von vorne los.
Das ganze läuft über drei Runden, bis alle 6 Größen bekannt sind. Eher beiläufig „lernen“ die SchülerInnen eine ganze Reihe von wichtigen mathematischen „Dingen“:

  • Jede Mathematik fängt beim Sehen an.
  • In Mathematik geht es nicht zuerst um Rechnen oder Wissen, es geht um Suchen.
  • Wir benutzen Gesetze, um zu finden, was wir nicht wissen.
  • Bis die Kinder den Prozess in und auswendig kennen, hantieren sie ausschließlich mit Buchstaben. Nicht Zahlen, sondern Buchstaben sind in Mathe der Normalfall. (Den meisten Kindern sind Buchstaben suspekt, ganz einfach weil jahrelang Mathe nur aus Zahlen bestand. Sie wollen die Buchstaben so schnell wie möglich los werden und setzen sofort ein. Womit jede Aufgabe anders aussieht. Lassen sie jedoch die Buchstaben so lange wir möglich stehen, sehen alle Lösungen immer gleich aus. Auch das schafft Sicherheit)
  • Ganz nebenbei erfahren die Kinder, wie man Formeln benutzt: Nur eine von den enthaltenen Größen darf unbekannt sein.
  • Beiläufig wird eingeführt, was ein Winkel ist und wie die Seiten und Winkel in einem Dreieck heißen und wie diese angeordnet sind.
  • Das Ganze entwickelt sich zu einem Suchspiel. Wenn sie spielerisch den Weg kennenlernen, um alle Größen zu berechnen, lernen sie unbewusst, dass sie manche Größen nicht unmittelbar berechnen können, sondern dass manchmal ein Umweg nötig ist.
  • Ganz nebenbei sehen sie zum ersten Mal die Zeichen für Sinus und Kosinus. Diese werden auch in anderen Kontexten auftauchen. Die Schüler werfen einen Blick in die Zukunft. Zuversicht wächst. Themen sind lange schon  ersehnt, wenn sie auf dem Lehrplan stehen.

Geometrie als Puzzle mit den immer gleichen Teilen

Fraktales-Lernen fasst jeden Bereich der Mathematik auf einer Folie zusammen und zwar so, dass möglichst viele ähnliche Strukturen sichtbar werden:

Sowohl die Formen als auch die Formeln weisen deutliche Gemeinsamkeiten auf. Hauptbotschaft dieser Übersicht ist: ​Flächen und Räume wachsen alle nach denselben Prinzipien.

 

Beide werden dann mittels komplexer Gebilde in einen immer gleichen Prozess eingebunden:

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Die Schüler lernen, sich die Gesamtformel wie mit Schere und Klebstift zu basteln. Verstehen wollen hat auch hier zunächst keinen Platz. Im Moment geht es vor allem um Sehen.
Zeile für Zeile wird der Lösungsprozess etabliert:

  • Den Formen werden Formeln aus der Übersicht zugeordnet, die die Kinder exakt darunter schreiben. Es gibt insgesamt nur 3 Flächenformeln. Mathe ist immer gleich.
  • Dann werden die Buchstaben der Formeln durch Werte ersetzt, die ebenfalls exakt darunter stehen. Die Augen des Kindes können verfolgen, ob es alles richtig macht.
  • Jetzt, erst jetzt, kommt Rechnen ins Spiel. Rechnen ist nicht Mathe, sondern der letzte Schritt ins Ziel.

Auf der „Nebenspur“ finden sich auch hier eine ganze Reihe von impliziten Inhalten:

  • Das Gleichheitszeichen ist kein Befehl, Wissen aufzuschreiben. Es verbindet Größen, die in Buchstaben aufgeschrieben werden. Wo Buchstaben stehen, geht es  immer um Gesetze. Zahlen rechnen „nur“ den Einzelfall.
  • Ausgangspunkt ist immer eine Form. Unser wichtigstes Instrument sind die Augen. Die implizite Botschaft lautet: Sieh dir zuerst die Realität an. Mach die Augen auf!
  • Bei dem immergleichen Prozess gibt es letztlich nichts zu verstehen: die Kinder sehen, lesen, suchen, schreiben ab. Fast körperlich erfahren sie: Mathe ist kein riesiger Haufen immer anderer Lektionen. Mathe ist immer gleich.
  • Nur allzu gerne geben die Kinder mit der Frage „Das verstehe ich nicht“ die Verantwortung an den Lehrer zurück. Schließlich haben sie nicht darum gebeten, dass einer mit Ihnen Mathe macht. Bei dieser Art des Lernens liegt allem Handeln ein Prozess zu Grunde. Hier macht die Aussage „Das verstehe ich nicht“ keinen Sinn. Die Frage lautet: „Was muss ich als nächstes tun? Der Schüler behält die Verantwortung.
  • Wir müssen das Ergebnis nicht von am Anfang kennen. Denn Mathe treiben heißt Suchen. Die Kunst in Mathe (und im Leben) besteht darin, große Probleme in kleine zu zerlegen und dann diese kleinen „Probleme“ (die jetzt keine mehr sind) zu lösen. Mathematik als Befähigung zum Leben.
  • Die SchülerInnen haben es auch hier so lange mit Buchstaben zu tun, bis sie den Prozess komplett erfasst haben. Die Kinder können die Buchstaben mit den Augen verfolgen. Buchstaben geben Sicherheit. Werte kommen erst dann ins Spiel, wenn der Prozess sicher steht.
  • Buchstaben (nicht Zahlen) sind der Normalfall in Mathematik.

Wenn sich eine handvoll Prinzipien immer und überall wiederholt, schafft das Vertrauen für all die Jahre, die noch vor den Kindern liegen.

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