Einleitung
Oberstes Gebot der Gestaltung einer Vorbereiteten Umgebung ist die Schaffung einer äußeren Ordnung,
die dem Kind den Aufbau seiner inneren Ordnung ermöglicht.
Dieses Zitat soll nicht nur der poetische Auftakt eines Aufsatzes sein, sondern Programm und Wegweiser, mit dessen Hilfe wir –hoffentlich– zum Herz der Vorbereiteten Umgebung vordringen werden. Deren konkrete Form befindet in permanentem Wandel, denn jedes Kind hat in jeder Entwicklungsstufe und sogar mit jeder sensitiven Phase andere Bedürfnisse. Dieser Aufsatz beleuchtet die Besonderheiten der Vorbereiteten Umgebung für den Mathematikunterricht in der Sekundar- und Oberstufe.
Ziel der Vorbereiteten Umgebung ist Aufbau der Persönlichkeit
„Oberstes Gebot der Gestaltung einer Vorbereiteten Umgebung ist die Schaffung einer äußeren Ordnung, die dem Kind den Aufbau seiner inneren Ordnung ermöglicht.“
Läsen wir schnell und oberflächlich, dann könnte die wiederholte Verwendung des Wortes „Ordnung“ den einen oder anderen auf den Gedanken bringen, es ginge hier darum, das Kind zu disziplinieren, im Sinne von Einfügen in die Gesellschaft, damit es nicht störe. Um ein artiges Kind, oder –weiter gedacht– um den zukünftigen gesellschaftskonformen Erwachsenen. Doch wir säßen einem Fehlschluss auf. Was der Begriff genau meint, das zu verstehen soll ein Blick auf die kosmische Erziehung helfen. Denn in der Pädagogik Maria Montessoris ist alles mit allem verwoben. Um einen Begriff besser zu verstehen, dürfen und müssen wir immer auch die anderen Begriffe befragen.
Die Vorbereitete Umgebung und Kosmische Erziehung
Ziel der „Kosmischen Erziehung“ ist die Rettung der Welt vor dem Menschen durch den Menschen. Hierfür ist essentiell, dass das Kind ein positives Bild von der Welt gewinnt. Es soll lernen, dass sie gut ist. Subjekt dieses Lernens ist nicht nur der Verstand, sondern das ganze Kind. Tief in seinen Eingeweiden soll es die Gewissheit erlangen, dass alles wunderbar gefügt ist. Sinnvoll.
In der kosmischen Erziehung wird die eine Welt deshalb in einem einzigen Fach in ihren verschiedenen Aspekten vorgestellt: Biologie, Chemie, Geschichte, Mathematik, Musik, … Auch der Mensch selbst: Alle kulturellen und technischen Leistungen, die das Kind sehen lernt, verdankt es den herausragenden Leistungen anderer Menschen. Erst wenn diese tiefe Gewissheit in sein Herz (in sein Unbewusstes) eingraviert ist, lernt das Kind dann auch sehen, wo die Welt seiner Hilfe bedarf.
Bis zum Ende der Entwicklungsstufe 2 geht es also um Struktur und Ordnung im Sinn von Sinn. So wie die Naturgesetze überall im Weltall gelten und zu jedem Augenblick, so hat überhaupt die ganze Welt ihre Ordnung und Struktur. Einfach alles hat seinen Platz. Bei allem hat –Maria Montessori ist gläubige Christin– Gott sich etwas gedacht.
Wenn die Botschaft der komischen Erziehung ist, dass die Welt da draußen sinnvoll gefügt ist, dann muss auch die Welt im Kinderhaus und in der Schule sinnvoll gefügt sein. Genau deshalb sind in der Pädagogik Maria Montessoris alle Fäden mit allen anderen zu einem einzigen Teppich verwoben.
Nicht weil es gehorsam ist, sondern weil es sich als sinnvollen Teil der sinnvollen Welt begreift, hält sich das Kind an Regeln und nimmt Rücksicht. Genau das meint Maria Montessori meiner Meinung nach, wenn sie von „aktiver Disziplinierung“ spricht. Es geht ihr nicht darum, das Kind von außen zu disziplinieren. Es soll die Ordnung gewissermaßen in seinen Genen tragen. Gleichzeitig muss ich gestehen, dass mir die Verwendung des Begriffes „Disziplinierung“ heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, sehr gefährlich scheint, suggeriert er doch, es ginge um ein artiges Kind.
Doch steigen wird noch einen Stock tiefer und sehen uns genauer an, wie sich die Umwelt in das Herz des Kindes einbrennt.
Vorbereitete Umgebung und Persönlichkeitsentwicklung
Das Kind blickt aus sich heraus auf eine wohl-durchdachte Welt. Doch das darf uns nicht dazu verleiten, zu übersehen, dass es dabei nicht so sehr um das Erkennen der Welt da draußen geht, sondern um den Aufbau des Kindes im Inneren. Nicht um das Kind, wie es sich in der Welt verhalten wird, sondern darum, wer es ist. Es geht um Bewusstsein, Intelligenz, Charakter und Persönlichkeit.
Spätestens der erste Schultag ist für so manches Kind auch der Moment, in dem es eine neue Kultur kennenlernt. Vielleicht wuchs es in einer Welt auf, in der Ordnung gar nicht wichtig war. Und jetzt mit dem Eintritt in die Schule /Kinderhaus wird Ordnung über alle Maßen wichtig.
Doch zum Glück ist das Kind flexibel. Zum Glück absorbiert es mehr, als es in Frage stellt. So wie es in der Lage ist, drei Sprachen gleichzeitig als Muttersprache zu lernen und zu wissen, mit wem es sich in welcher von diesen unterhalten kann, so kann es lernen, ganz generell auch in verschiedenen Kulturen zu leben. Auch wenn sich für so manches Kind hier der erste große Widerspruch auftut, ist es trotzdem „nur“ ein Widerspruch zwischen zwei Kulturen.
Es ist nämlich etwas grundlegend anderes, wenn sich zwei Kulturen wider-sprechen, die jede für sich genommen konsistent ist, oder aber wenn eine oder beide von diesen mit sich selbst in Widerspruch stehen. Letzteres könnte nicht ohne Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Kindes bleiben. Womit klar wird, warum Maria Montessori so viel Wert darauf legt, dass das Kind die Welt „Schule / Kinderhaus“ als eine erlebt, in der alles seinen Platz und Sinn hat. Es geht um mehr als die Einheit der Welt, aus deren Fenster es für die kommenden Jahre auf die Welt da draußen blicken wird. Jeder feine Riss im System Kinderhaus / Schule wird später auch im Kind zu finden sein.
Die Vorbereitete Umgebung in der E1 und E2
Einfach alle Bereiche gehören zur vorbereiteten Umgebung:
- Räumliche Struktur
- Zeitliche Struktur
- Materielle Struktur
- Soziale Struktur
- Umgebende Struktur
- Personelle Struktur
Da meine eigenen Gedanken zu unserem Thema einen großen Platz in diesem Aufsatz einnehmen werden, seien die Anmerkungen von Steffi Hennig zur Vorbereiteten Umgegung im Skript in Gesamtheit zitiert. Denn sie geben einen guten Einblick, wie Maria Montessori wirklich jeden einzelnen Blumentopf in die Hand nimmt und in darauf befragt, wie er sich in das große Ganze einfügt:
(Zitat Anfang)
- Alles, was in den Raum gestellt wird, trägt eine Information bzw. Aufgabe in sich: Der Stuhl ist zum Sitzen da, der Besen zum Kehren.
- Die Materialien können bearbeitet werden. Maria Montessori: „Ein Mikroskop ist kein Briefbeschwerer!“
- Kinder sollen das Gefühl bekommen: Das sind meine Dinge, ich kann alles benutzen. (Umkehrsituation zu unserer Gesellschaft: Gegenstände zu kostbar oder zu zerbrechlich für das Kind)
- Alles im Raum ist für das Kind handbabbar, weist keine Defekte auf bzw. wird umgehend repariert.
- Alles im Raum hat seinen Platz. Nur das befindet sich im Raum, was den Bedürfnissen der Kindergruppe entspricht.
- Die Dinge für die Erwachsenen stehen separat, sie müssen nicht sichtbar sein.
- Naturstofffe bevorzugen
- Materialien zum Nachfüllen bzw. neu Bestücken der Tabletts sollten schnell greifbar, bzw. auch für die Kinder zugänglich sein.
- Schrift und Zahlen werden einheitlich verwendet.
- Für sein eigenes Fach trägt das Kind die Verantwortung und entscheidet, was hineinkommt und wer hinein schaut. Respekt vor dem Geheinmnissen des Kindes!
- Raumdekoration: Weniger ist mehr!
- Grundlage für Dekoration aus unserer Kultur auswählen, für Hintergrundwissen für die Kinder sorgen.
- Fenster sind zum Hinausschauen da!
- Die gesamte Umgebung und das Material müssen sauber sein und regelmäßig – unter Einbezeihung der Kinder – abgestaubt und gepflegt werden.
- Pflanzen und Blumen gehören zur Vorbereiteten Umgebung.
- Bilder zur Dekoration können Kinderbilder oder Bilder aus der realen Welt von Menschen, Tieren und Pflanzen sein, ebenso Werke von Künstlern. Sie sind auf Augenhöhe der Kinder anzubringen.
- Haustiere werden in die Vorbereitete Umgebung integriert.
- Das Außengelände ist ebenso unter den Gesichtspunkten einer vorbereiteten Umgebung zu betrachten.
- Beete und vielfältige Pflanzen bereichern die natürliche Umgebung im Außenbereich. Die Kinder sollen den Kreislauf des Lebens erfahren können.
- Kindgerechte Gartengeräte sollten zur Verfügung stehen.
- Bewergungsanregende Gestaltung mit Wiesen, Wegen, Balancierschaukel- und Klettermöglichkeiten in der Ebene und in der Schräge.
- Die Vorbereitete Umgebung ist dynamisch. Sie muss den Entwicklungsinteressen der Kinder entsprechen.
(Zitat Ende)
Die (Un-)vorbereitete Umgebung in der Sekundarstufe
Was macht die Mathematik so besonders?
- Die Mathematik steht in dem Ruf, logisch zu sein. Das ist vermutlich auch der Grund, dass Mathe das Fach ist, das mit „Intelligenz“ in Verbindung gebracht wird. Auch wenn niemand sonst ein Urteil fällen sollte (weder Lehrer, Eltern oder Mitschüler) kommt der/die SchülerIn sich klug bzw. dumm vor, wenn er/sie versteht, oder eben nicht.
- Im Gegensatz zu anderen Fächern ist die Mathematik kein unmittelbar erfahrbarer Aspekt der Welt, so wie Wasser, Licht oder Bäume es sind. Die Anbindung der Inhalte an das Leben des Kindes ist deshalb immer eine Herausforderung.
- Die Mathematik ist „nur“ ein Sprungbrett: Das Kind lernt Strukturen sehen und diese gleichzeitig mittels seiner Imaginationskraft überschreiten.
- Wie kaum ein anderes Fach wird Mathematik induktiv gelehrt: Unbewusst bauen die SchülerInnen einen hohen Turm.
- Es ist eine riesige Herausforderung, den Schülern schon in den ersten Jahren die Schönheit der Mathematik aufzuschließen. Vor allem dann, wenn …
- die Mathematik mit Rechnen und
- Suchen mit Wissen,
…verwechselt werden.
Verstehen vs. Sehen
Bevor wir uns dem Lehrplan zuwenden, soll –quasi als Hinführung– kurz vorgestellt werden, wie sich mangelnde Konsistenz zwischen der visuellen und der logischen Struktur auf den Lernerfolg der SuS auswirken. Formen wir eine einfache Gleichung um, und beobachten, was passiert:
Vom Standpunkt der Logik aus betrachtet ist alles in bester Ordnung. Doch was sieht der Schüler?:
- Das Gleichheitszeichen steht in der zweiten Zeile unter dem Minus der darüberliegenden;
- die 5 unter dem y der ersten,
- das y unter der 5 und umgekehrt.
Er/sie ist jetzt im Kopf, denn er kann nicht mehr beobachten, sondern muss lesen. Wie an anderer Stelle herausgearbeitet, trennen wir gerade das Bewusstsein vom Unbewussten; den Menschen vom Tier. Letzteres darf nicht mehr mitmachen. Der Mensch muss jetzt alleine laufen.
Wer erlebt hat, dass Ordnung auch in Matheunterricht das halbe Leben ist; wer erlebt hat, dass das Verstehen der visuellen Struktur für manche Schüler zentral ist, um die logische Struktur zu erfassen, würde anders schreiben:
Wichtigster und zentraler Grund dafür, dass Mathematik verpflichtendes Schulfach ist, sollte nicht die Anwendung der Inhalte sein, sondern die Tatsache, dass das Gehirn im Umgang mit der Mathematik lernt, immer andere, immer komplexere und immer feinere Muster zu erkennen. Und einmal abgesehen vom „Schulfach Sprache“ stehen Strukturen in keinem anderen Fach derart im Zentrum. Noch einmal: es ist Aufgabe der Mathematik, den Schülern Strukturen aufzuschließen.
Im Fach Mathematik zeigt sich also nicht, wie intelligent jemand ist, sondern hier werden wichtige Grundlagen für Intelligenz und für Bewusstsein überhaupt erst gelegt. Wie es scheint, hat sich in den letzten Jahrzehnten das Gehirn der Kinder den extremen Anforderungen, mit denen es heute konfrontiert wird, angepasst. Kinder-Gehirne lernen heute nicht mehr wie noch vor 30 Jahren.
Ein wichtiger Unterschied ist, dass das Unbewusste, die Intuition eine ungleich größere Rolle spielt. Und diese liest keine Bücher, sondern Zusammenhänge. Es reicht nicht (mehr) dass ein Teil dessen, was da steht, dass die Worte und Zeichen, logisch sind. Alles bildet eine Einheit. Gibt also das Ganze vor, logisch zu sein, müssen es auch alle Teile sein. Je stärker ein Mensch in Zusammenhängen „denkt“ (eigentlich müssten wir sagen: je stärker ein Mensch in Zusammenhängen „fühlt“ und müssten sofort präzisieren, dass das Fühlen heute nicht mehr vom Denken getrennt gedacht werden kann), desto wichtiger ist, dass wir nicht nur dem Verstand, sondern auch den Sinnen Sinn präsentieren.
Betrachten wir den Unterricht in Mathematik unter dem Blickwinkel der Pädagogik Maria Montessoris, dann ist der Anspruch an die vorbereitete Umgebung im Fach Mathematik noch größer als in jedem anderen Fach. Denn hier sind die Strukturen selbst das Thema. Hier wird eine Welt entworfen. Hier findet ein Gehirn entweder Erfüllung oder es wird fundamental enttäuscht.
So wie gut funktionierende Ohren unerlässlich für das Gleichgewicht sind und damit auch für die Orientierung in Raum und Zeit, wird jeden Tag wichtiger, dass die SchülerInnen die vorgestellten Strukturen zuerst sehend erfassen können, um sie im zweiten Schritt auch intellektuell zu durchdringen. Denn in einer immer schneller dahin rasenden Welt, in der das Gehirn sich täglich mehr auf das Unbewusste verlassen muss, nimmt es nicht mehr hin, dass das Fach, das seine Intelligenz herausfordert, ausschließlich inhaltlich logisch ist. Es muss in jedem einzelnen Aspekt logisch sein.
Die Vorbereitete Umgebung im Fach Mathematik in der Sekundarstufe
Vor allem mit fortschreitendem Alter bildet der Lehrplan einen kritischen Teil der Vorbereiteten Umgebung. Wie kritisch, das soll im Folgenden kurz umrissen werden:
Vorausgeschickt sei, dass die hiermit geäußerte Kritik vor allem die Umgebung der Regelschule im Blick hat. Was davon auch für Montessori-Schulen in der E3 gilt, ist mir nicht bekannt. Regelmäßige vergleichende Wettbewerbe und Prüfungen (Känguru, Vera, (e)bbr, MSA und Abitur) lassen vermuten, dass es auch Montessorischulen ab ca. Jahrgang 7 nicht einfach haben, von dem gesellschaftlich eingeschlagenen Weg abzuweichen.
Der Schleifen-Lehrplan
Der Lehrplan an Regelschulen ist heutzutage in Schleifen aufgebaut. Die Inhalte kommen jedes Jahr wieder. Mit höherem Vertiefungsgrad. Was dem besseren Verständnis dient, hat –so meine sicher provokante These– genau den gegenteiligen Effekt. Denn wenn Zusammenhänge über Jahre ausgestreckt werden; wenn die SchülerInnen zwar immer neu erfahren, dass das, was sie jetzt lernen, auf früherem Wissen aufbaut; wenn sie sich immer erinnern und Vergangenheit lesen müssen, um Zusammenhänge zu finden, dann sind diese eben nie sichtbar, sondern müssen rational gezogen werden. Ein triviales Beispiel:
Das einfachste alle Vierecke ist das Quadrat. Deshalb wird es den Kindern ganz am Anfang vorgestellt:
Sie lernen folgende Formel für die Fläche:
A = a * a
Die Augen verstehen, dass am Rand zu suchen sei. Etwas später geht es eine Stufe höher und die Kinder lernen das Rechteck kennen:
Jetzt heißt die Formel:
A = a * b
Es bestätigt sich: „Die wichtigen Informationen finden sich immer am Rand!“ Ein paar Wochen, Monate, oder sogar ein oder zwei Jahre folgt das Parallelogramm :
A = g * h
Jetzt müsste es eigentlich darum gehen, wie ganz generell Flächen und Räume wachsen und dass die zweite wichtige Information sich immer in der Mitte findet. Doch das würde allem widersprechen, was beim Rechteck und Quadrat die Regel war. Das Kind macht deshalb eine ganz andere Erfahrung: „Die Mathematik ist gar nicht so logisch, wie sie vorgibt. Tausend Regeln ohne ein Prinzip.“
Derartige negative Erfahrungen sind die natürliche Folge eines induktiven Lehrplans, der beim Spezialfall anfängt. Denn je spezieller eine Form, desto weniger Prinzip trägt sie in sich. Desto mehr überstrahlt das Besondere das Allgemeine. Fast müssen wir sagen: Die Einfachheit verschleiert hier, worum es geht. Besser wäre gewesen, wir hätten beim Parallelogramm angefangen. Das Kind hätte das Gelernte dann im Rechteck und Quadrat in einfacherer Form wiederfinden können. Eine Lerneinheit hätte deren drei ersetzt und die Kinder könnten das Rechteck als ein einfaches Parallelogramm verstehen. Mit bestechend einfacher Winkelstruktur. Und es könnte sehen, dass tausend scheinbar unlösbare Probleme gar nicht schwer sind, wenn wir nur richtig sehen können:
Hätten wir alle drei Formen und ein paar mehr dazu in eine einzige Darbietung eingebettet, könnte der emotionale Gewinn nicht größer sein. Denn jetzt würden die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede den Augen erklären, worum es geht, ohne Umweg über das Bewusstsein. Und wenn das Gehirn drei leicht unterschiedliche Varianten ein und derselben Struktur sieht, und wenn es selbst entdeckt, was diesen gemeinsam ist, ist neurobiologisches Glück die natürliche Folge. Denn selbstähnliche Strukturen erkennen heißt „Naturgesetze verstehen“. Wer dabei nicht stirbt, hat eine wichtige Lektion „überlebt“ und darüber hinaus auch noch seine Chancen gesteigert, auch morgen noch zu leben. Was anderes als Glück wäre hierfür das passende Gefühl?
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Der Lehrplan an Regelschulen ist ganz generell wichtiger Teil der (un)-vorbereiteten Umgebung, und seine Bedeutung …
- für das Kind, …
- im Fach Mathematik (die sich mehr als alle andere Fächer in Wahrheit kleidet) …
- an einer Schule, deren Pädagogik den Sinn und Zusammenhänge in den Mittelpunkt stellt, …
… kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Ähnliches müssten wir vom Stundenplan sagen. Denn es ist (neurobiologisch betrachtet) nicht ohne Bedeutung, ob das Kind mit einem (ungeliebten) Fach nur einmal in der Woche konfrontiert wird, oder jeden Tag. Womit wir erneut beim Thema „Mathe und verletzte Kinder“ sind. Doch ich will beim Thema bleiben.
Der Körper des Schülers als Teil der (un-) Vorbereiteten Umgebung
Ob wir es wahrhaben wollen, oder nicht, in Mathematik bewertet sich das Kind selbst. Es geht hier also erst in zweiter Linie um den Inhalt, und dass das Kind was lernt. In erster Linie geht es um das Kind selbst. Womit wir bei der gerade in der Pubertät wichtigsten Lernumgebung angekommen sind: dem Lern-Körper.
Denn ohne Grundspannung vom Scheitel bis hinunter zum Steiß kann das Gehirn nur einen Teil seiner Leistungsfähigkeit abrufen. Nicht umsonst sitzt deshalb jeder Yogi gerade. Wenn einen also das Fach nicht vom Hocker reißt und das Kind mehr liegt als sitzt, dann kann der Schüler nicht so richtig denken. Und wer nicht richtig denken kann, hat keine Lust und schläft gleich ein. Und er hat Mühe, zu folgen und mag nicht, was er lernen soll. Mit anderen Worten: Wie das Bewusstsein hat auch der IQ nicht nur eine persönliche, essentielle und mit der Person verbundene Qualität. Beide sind auch situationsabhängig. Sitzt nämlich der Schüler nicht gerade, dann kann er eben nicht so gut verstehen und ist zwangsläufig jetzt gerade dümmer als noch vor ein paar Minuten.
Der Körper ist also nicht nur äußeres Zeichen einer inneren Haltung, sondern er ist auch der Rahmen, innerhalb dessen seine Möglichkeiten leben. Mangelt es einem Kind an Selbstbewusstsein, zeigt sich dies dann auch im Körper. Und dieser hat dann seinerseits einen Einfluss darauf, wie aufmerksam sein Geist gerade sein kann. – Ein Teufelskreis.
Es ist jedoch nicht nötig, dass wir den Schüler zum Therapeuten schicken, um sein Selbstbewusstsein wieder aufzubauen, oder dass wir ihm „Mut zureden“: Wir könnten ihm stattdessen Gründe nennen, sich bewusst hinzusetzen. Damit würden wir auch zum Ausdruck bringen, dass uns wirklich etwas daran gelegen ist, dass er etwas lernt. Und wir nehmen ihn in die Verantwortung. Solange er nämlich nicht aufrecht sitzt, macht der Satz, mit dem die Schüler dem Lehrer nur allzu gerne die Verantwortung zurück geben: „Ich verstehe nicht“ keinen Sinn mehr. Denn wenigstens ein Teil in ihm/ihr macht unübersehbar deutlich: ich will gerade nicht erkennen.
Die tägliche Erfahrung zeigt: Fast jedes Mal, wenn ein Schüler in Mathematik aufmacht, ist dies daran zu erkennen, dass sich der Körper ruckartig aufrichtet. Diese Veränderung der Körperhaltung ist immer das erste und sicherste Zeichen, dass soeben eine Tür aufging. Solange ein Schüler also auf der Bank liegt, müssen wir uns inhaltliche Erklärungen in seine Richtung sparen: denn erstens kann er gerade nicht verstehen. Und zweitens macht jetzt jede Erklärung alles nur noch schlimmer. Denn wer die gesetzten Zeichen nicht ernst nimmt und dem Liegenden oder Schlafenden Wissen aufdrängt, der übt gerade Gewalt aus. Womit wir wieder bei einem ganzen Bündel von andern Themen wären: Freiheit, Zusammenhänge, Peripherie und Zentrum….
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