Was könnten wir Menschen durch die Mathematik lernen, um bessere Menschen zu werden?“
Einleitung
Wollen wir das Unterrichtsfach „Mathematik“ in seiner jetzigen Form rechtfertigen, dann reicht es, wenn wir zusammenfassen, was wir alles mit ihr machen können:
- Wo überall kommen Zahlen vor?
- Wie müssen wir rechnen?
- Welche Berufe sind ohne ein mathematisches Grundverständnis nicht erlernbar: Bäcker, wenn er einen Kuchen backen will, der größer ist, als das Rezept uns sagt. Oder Architekt, damit das Haus auch steht.
Wollen wir den Blick weiten und darüber nachdenken, was genau die Kinder und Jugendlichen im Matheunterricht – besser als in anderen Fächern und manchmal sogar nur hier – lernen könnten, dann müssen wir nach ihrer Seele suchen. Der, der über die Nützlichkeit eines seiner Werkzeuge nachdachte, müsste sich für ein kurzes Gedankenexperiment selbst zu dessen Objekt machen. Aus dieser Perspektive heraus können wir eine weitaus interessantere Fragen stellen.
Was können wir Menschen durch die Mathematik lernen, um bessere Menschen zu werden?
„Besser“ nicht im moralischen Sinn, sondern im Existentiellen. Was können alle Menschen – nicht nur die mathematisch Begabten – von der Mathematik lernen, um sich selbst noch besser zu entfalten?
Die Mathematik hat vieles mit den Menschen gemein: Sie ist zu Höchstem fähig und gerade deshalb auch in der Lage, Schlimmstes anzurichten. Sie kann Menschen kaputt machen und die Gesellschaft in zwei Klassen spalten. Gleichzeitig ist sie auch das schönste Werkzeug derer, die forschen und nach der Welt von morgen suchen.
Die Welt von morgen: Sie fängt nicht erst im Studium an. Bereits in der Grundschule könnte die Mathematik zu ihrer Höchstform auflaufen. Denn viel schöner noch als „Die-Welt-mit-ihrer-Hilfe-zu-entdecken“ ist es, wenn Menschen sich mit ihrer Hilfe selbst entdecken und entfalten.
Persönlichkeitsentwicklung durch Bewusstseinsentwicklung
Wenn den Kindern die Mathematik in der Schule aufgezwungen wird, mit vielen pädagogischen Tricks und Kniffen zwar, doch ohne den geringsten Versuch, die Kinder für das Fach als solches zu begeistern, dann führt das im schlimmsten Fall dazu, dass diese nicht nur keine Lust auf Mathe haben, sondern dass sie die Lust auf Lernen allgemein verlieren. Manchmal sogar alle Lust auf das Leben.
Interessanterweise passiert genau das Gegenteil, wenn Kinder plötzlich einen Zugang zur Mathematik finden. Jugendlichen, die ohne jede Energie in ihren Augen mehr auf den Bänken lagen als tatsächlich da zu sein, kehrt die Lebensenergie zurück. Sie kommen aus der letzten Reihe vor, in die sie sich zurück gezogen haben, und wollen diskutieren und Fragen stellen.
Diese Energie strahlt sich nicht selten auch auf alle anderen Fächer aus. Lernen generell wird wieder interessant. Diese neu entdeckte Lebensspannung überträgt sich bisweilen sogar auf den Umgang mit dem eigenen Körper: So mancher von Ihnen wählt bald einen Sport, der lehrt, sich wieder in den Griff zu kriegen.
Im Mathematikunterricht geht es nicht zuerst um Zahlen. Es geht um das Leben der Kinder.
Es geht nicht zuerst um das Erlernen fremder Vergangenheit und um die Welt da draußen in der Gegenwart. Es geht um die eigene Zukunft, um Entwicklung und Entfaltung.
Um das Unbekannte. Darum, sich im eigenen Nicht-Wissen zurecht zu finden. Darum, Struktur ins Chaos zu bringen und zu formulieren, wovon man keine Ahnung hat. Die Mathematik kann aus Sklaven einer Welt, in der andere das Zepter führen, Herrscher machen.
Wer die Mathematik lediglich als eine Sammlung von wichtigen Lektionen sieht, die wir lernen müssen, um uns in dieser Welt zurecht zu finden, der hat das Schönste übersehen. Gerade weil die Mathematik so sicher in sich selber steht. Weil sie zweifelsfreier weiß als jede andere Disziplin, kann sie uns lehren, selbstbewusst zu sein, auch dann, wenn wir im Nebel wandern. Sie kann lehren, aus der Vorfreude auf das Erreichen eines Ziels heraus zu leben. Der Matheunterricht wäre der Ort, an dem unsere Kinder – besser als an anderen Orten – Zukunft lernen könnten.
Wenn das unsere Vision von Matheuntericht sein sollte, dann geht es nicht um Wissen, das man verstehen muss, um es zu können, sondern um Wissen, das es zu üben gilt. Denn, wenn Menschen den Blick von der Vergangenheit (Wissen) in Zukunft wenden (Nichtwissen, Forschung), dann geht es immer auch um Bewusstsein. Und Bewusstsein ist kein Schalter, den man nur umlegen müsste. Wenn Bewusstsein wächst, ist dies ein – nie endender – Prozess.
In solchem Matheunterricht wäre Rechnen Inhalt zweiter Ordnung. Die Kinder würden lernen, die Augen aufmachen, zu beobachten, sie würden anfangen, philosophische Fragen zu stellen. Warum ist das so? Die Mathematik würde aus Menschen, die wissen wollen, was sie tun sollen, Menschen machen, die –wie schon in den ersten Lebensjahren – voller Neugier sind.
Keine Angst zu haben, auch wenn der Weg im Nebel liegt: Das müssen Menschen 9, 10, 11, 12 oder 13 Jahre lang, jeden Tag von Neuem üben. Denn Angst – oder eben nicht – ist Sache des Unbewussten. Es lernt in klitzekleinen Trippelschritten.
Aufbau von Selbstbewusstsein
Mathematik hat immer auch mit Selbstbewusstsein zu tun. Denn wer Mathe nicht versteht, …
- zweifelt an sich selbst,
- hält sich für dumm oder immerhin ein wenig dümmer und
- tut sich oft mit Schule als Ganzes schwer.
Kein anderes Fach wirkt sich ähnlich dramatisch auf das Selbstbewusstsein vieler Kinder aus. Gleichzeitig kann kein Fach derart schnell Selbstbewusstsein wiederherstellen. Nur hier geht Heilung schneller, als Verletzung.
Mathelehrer haben deshalb eine ganz besondere Verantwortung. Ihnen muss mehr als allen anderen Fachlehrern am Herzen liegen, dass die Kinder und Jugendlichen ein positives Verhältnis zu ihrem Fach entwickeln. Denn dieses wirkt sich nicht nur darauf aus, wie sie die Welt sehen, sondern auch darauf, wie sie sich selbst sehen. Darauf, wie sie selbst in ihrer Welt präsent sind.
Im Mathematikunterricht steht Größeres auf dem Spiel als Zahlen und ob da jemand rechnen lernt. Wir sollten deshalb alles tun, um zu verhindern, dass sie zu einer Richterin darüber degradiert wird, wer intelligent ist und wer nicht. Jeder Mythenbildung müssen wir entgegenstehen.
Lernen lernen
Das Herz der Mathematik ist Rätsel lösen. Hier lernen Menschen, ausgetretene Lernpfade zu verlassen. Mathe ist deshalb untrennbar verbunden mit der Aufgabe das Lernen zu lernen und für Lehrer das Lernen zu lehren.
Mit welchem Fach sonst wäre das Lernen lernen stärker verbunden, als mit der Mathematik. Wichtiger noch, als zu wissen, was eine Wurzel ist, wäre, dass die Kinder alle Weisen kennen lernen, sich Wissen anzueignen. Würde sich Mathe als Schulfach um die Zukunft kümmern, Methodologie wäre integraler, ja sogar zentraler Bestandteil des Curriculums.
Und dass verschiedene Wege wertungsfrei nebeneinander stehen, wäre nicht genug. Die Kinder müssten entdecken dürfen, wie sie selbst am liebsten lernen.
Die Mathematik muss Intelligenz in jeder Form fördern. Sie darf keine Partei ergreifen. Und sie muss sich selbst immer wieder an der Nase fassen.
Vorbereitung der Kinder auf Wandel und Zukunft
Die Themen Zukunft und Wandel wurden bereits angesprochen. Doch es ist keine reine Wiederholung, wenn wir uns diesen Begriffen noch einmal nähern.
Warum entwickelt sich unsere Welt immer schneller? Weil sich Bewusstsein entwickelt. Weil immer mehr Menschen ihre Ideen auch umsetzen und umsetzen können. Weil es immer einfacher wird, Mitstreiter für eigene Ideen zu finden. Weil es heute möglich ist, mit einer einzigen guten Idee einen Großkonzern vom Thron zu stoßen.
Die Welt verändert sich nicht nur. Sie tut dies Jeden Tag schneller, daran besteht nicht der geringste Zweifel. Kinder auf die Welt von heute vorbereiten zu wollen, wäre nicht nur kurzsichtig, sondern unsinnig. Denn die Welt von heute ist de facto immer schon Vergangenheit. Sollen sich unsere Kinder auch noch in der Welt zurecht finden, in die wir sie in ein paar Jahren entlassen, müssen wir ihnen helfen, ein positives Verhältnis zu Wandel und Zukunft zu entwickeln. In welchem anderen Fach wäre Zukunft als Lerninhalt besser aufgehoben, als in der Mathematik?
Wenn wir das alles tatsächlich wollen, dann geht es nicht mehr nur um Persönlichkeit und Bewusstsein. Es geht darum, ob sich die Erwachsenen von morgen aktiv an der Gestaltung der Zukunft beteiligen.
Ideen aber, die die Welt verändern, werden in den meisten Fällen aus einem Perspektivenwechsel geboren. Eine Schulmathematik, die sich nicht aus der Vergangenheit definiert, indem wir sie auf Rechnen reduzieren, sondern die das Herz der Mathe in die Mitte stellen, ändert den Blick der Kinder auf die Welt.
Denn Forschung hat mit Unsicherheit zu tun, und mit Zukunft. Der eigenen Zukunft. Sicherlich ist nicht jeder dazu geboren, ein Forscher zu sein. Aber jeder ist gerufen, sein Leben mit den eigenen Händen und dem eigenen Herzen weiter zu entwickeln.
Wenn die Mathematik über die Einstellung zur Welt auch die eigene Position in der Welt beeinflusst, dann legt sie die Basis nicht nur für das nötige Wissen, später einen Beruf auszuüben, den andere definierten, sondern sie lehrt die Schülerinnen und Schüler, sich Gedanken darüber machen, wer sie selbst in der Welt von morgen sein wollen. Ob sie vielleicht selbst Unternehmer werden und sich ihren Job und Aufgaben selbst definieren wollen.
So verstanden fördert die Mathematik auch Jungunternehmertum. Nicht weil jeder Jungunternehmer auch rechnen können muss. Mehr noch als Rechnen muss sich jeder junge Unternehmer seine eigene Zukunft ausmalen können. Er muss Mut und Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten haben. Er muss Vision haben und muss ruhig bleiben, wenn einmal kein ausgetrampelter Pfad vor seinen Füßen liegt.
So unglaublich es klingen mag, all das können wir im Mathematikunterricht lernen. Jedoch nur dann, wenn wir Mathematik als den strukturierten, hoffnungsvollen Umgang mit Nichtwissen definieren. Wenn wir Aufgaben deshalb nie zu einfach machen, sondern immer so komplex, dass jeder suchen muss. Auch der Klassenprimus.
Mathe muss –will sie ihren Schatz bewahren– immer Rätsel sein. Denn keine andere Wissenschaft kennt diesen letzten Schritt, bei dem aus Nichtwissen Wissen wird, so genau, wie die Mathematik. Dieser Moment, wenn einer um die letzte Ecke biegt und plötzlich vor der Lösung steht, macht süchtig und ist der Grund, warum Mathematiker ihr Fach so sehr lieben.
Stiftung sozialer Einheit innerhalb der Klasse
Die Klassengemeinschaft wird im Mathematikunterricht nicht selten verletzt. Der Riss, der hier entsteht, geht später quer durch die Gesellschaft. Doch diese Folge könnte bestenfalls Anlass zu der Forderung geben, Matheunterricht so zu gestalten, dass dies eben nicht passiert.
Doch negative Forderungen, Forderungen also, die gegen etwas sind, haben noch nicht oft ihr Ziel erreicht. Denn ebenso stark wie die bewussten Widerstände gegen ein Übel ist der unbewusste Widerstand gegen Veränderung.
Viel besser noch, als Unterricht zu entwerfen, der Risse vermeiden soll, ist Unterricht, der Einheit stiftet. Einheit auf allen Ebenen. Und diese fängt zuerst in jedem einzelnen Kindergehirn an.
Mehr denn je ist allen Beteiligten am sozialen Spiel klar, dass der Einzelne immer nur eine (begrenzte) Sicht auf die Dinge hat. Erst viele Perspektiven ergeben ein –mehr oder weniger– komplettes Bild. In den meisten Fächern entsteht Einheit durch Kompromiss und Toleranz.
Dieses Wissen könnte Demut lehren. Zu oft führt es jedoch dazu, dass jeder sich in seiner eigenen Meinung verschanzt: „Keiner hat die ganze Wahrheit und keiner kann mir deshalb sagen, wie die Dinge sind oder sein sollen.“ Der Ruf nach Toleranz führt dazu, dass sehr feinfühlige Menschen diese für sich selbst fordern und sich von niemandem mehr etwas sagen lassen. Ja, sogar so weit, dass so mancher das Recht auf persönliche Wahrheit anmeldet.
Der Auftrag an den Matheunterricht, Einheit zu stiften, ist keine reine Reaktion auf die Tatsache, dass die Einheit nur allzu oft gerade wegen und im Matheunterricht leidet. Er wächst aus dem ur-eigensten Potential, das in der Mathematik –und nur in ihr– steckt. Besser als alle anderen kann sie dieses Muster durchbrechen. Denn wer mit Mathe umgeht, muss sich immer auch der Wahrheit stellen. Genau hier nimmt ja das Verständnis, Mathematik wäre im Grunde nur Rechnen, seinen Ursprung.
Kein Fach zieht eine ähnlich scharfe Grenze zwischen richtig und falsch, wie die Mathematik. Doch in Verbindung mit dem Bild des Hauses oder dem des Turmes, den die Schülerinnen und Schüler jeden Tag von unten bauen, und in Verbindung mit winzig kleinen Puzzleteilen, führt diese Trennlinie zu permanentem Urteil über die Person und zur Spaltung der Gemeinschaft.
Ganz anderes wäre es, würde Mathematik ganzheiltlich gelehrt. Dürften die Schülerinnen und Schüler in der Schule ein großes Ganzes entdecken, eines, das so groß ist, dass es keiner ganz begreifen kann und bei dem es, im Gegensatz zu anderen großen Dingen, trotzdem absolutes Wissen gibt; nur die Mathematik böte die Möglichkeit einer Wegeinheit hin auf ein gemeinsames Ziel, das tatsächlich existiert.
Auf dieser Reise können sich alle gegenseitig unterstützen. Die einen sehen es etwas schärfer als die anderen, und können diesen deshalb helfen. Doch alle wissen, dass auch der Primus niemals alles weiß.
Angesichts der Erfahrung, dass es sehr wohl (mathematische) Wahrheit gibt, hätten wir einen Boden gefunden, um neue zukunftsweisende Strukturen einzuführen, ohne dass der einzelne dies als Angriff auf seine private Freiheit verstehen könnte.
Ermöglichen einer tatsächlich freien Berufswahl
Einer der beiden wichtigsten Aufträge von Mathematikunterricht war schon immer die Vorbereitung auf den Beruf. Dieses Ziel bleibt natürlich weiterhin bestehen.
Gleichzeitig darf Matheunterricht nicht dazu führen, dass Jugendliche irgendwann jeden Beruf kategorisch ausschließen, der etwas mit Mathematik zu tun hat. Wenn Mathematik in so vielen Berufen Handwerkszeug ist, dann muss der Unterricht so gestaltet werden, dass tatsächlich jeder Schüler einen Zugang findet.
Derzeit macht es der Unterricht in Mathe einer ganz speziellen Gruppe von Schülerinnen und Schülern leicht und allen anderen schwer. Von denen, die mathematisch denken könn(t)en, werden nur diejenigen adressiert, die induktiv verstehen können:
- Solche also, denen das Detail genug intrinsische Motivation gibt, sich mit ihm auseinander zu setzen.
- Solche, die nicht von der Begeisterung des Lehrers für sein Fach abhängen, weil sie selbst Begeisterung in sich tragen, die von nichts und niemandem ausgelöscht werden kann. Genug Begeisterung, dass kein Verstoß gegen neuro-biologische Regeln etwas kaputt machen kann.
Wollten wir fair sein, dann müssten wir verschiedene Wege anbieten. Derzeit gibt es in der Schule, trotz aller anderweitigen Beteuerungen, nur einen einziger Weg, wenn auch in hundert Varianten.
Einheit von Verstand (Ratio) und Gefühl (Emotio)
Kein Schulfach gibt sich rationaler als die Mathematik. Wir sind deshalb der Meinung, Mathe müssten wir von Grund auf lernen. Jedes kleine Teil einzeln. Jeden Stein dieses hohen Turmes müssen wir verstehen, da er sonst nicht steht.
Das Unbewusste lernt ganz anders als der menschliche Verstand: Es versucht Strukturen zu erkennen. Es will auf dieser Weise heraus finden, mit was es es gerade zu tun hat. Es springt wild hin und her zwischen dem Detail und dem Ganzen. Bevor es sich die kleinen Teile merken kann, muss es die großen Zusammenhänge seh’n. Solange das Unbewusste (das Tier) nicht versteht, stellt es sich bald quer.
Die SchulMathematik suggeriert, sie stünde für alles, was den Menschen im Gegensatz zum Tier ausmacht. Hier geht es ausschließlich um den Menschen. Und genau hier liegt das Problem. Das Tier sitzt trotzdem mit im Klassenzimmer.
Wer hat schon einmal erfahren, dass so mancher Nachhilfeschüler erst dann versteht, wenn der Lehrer nicht mehr redet und einfach nur vorrechnet. Nicht nur im Einzelunterricht. Sogar im Klassenverband lernen Schüler oft um ein Vielfaches schneller, wenn der Lehrer schweigend an der Tafel malt. Ohne Sprache und ohne Erklärungen, die den Verstand adressieren.
Jetzt dürfen die Augen lernen. Jetzt erklärt sich Gehirn selbst, wie das Ganze funktioniert. Zehn Stunden langwieriger Erklärungen erreichen manchmal weniger, als 10 Minuten sprachlosen Vorexerzierens.
Wer behauptet, Mathematik könne man nur mit dem Verstand lernen, der irrt gewaltig. Öfter als gedacht können wir Mathematik viel besser mit dem Gefühl lernen. Und wenn beide im Team antreten, wenn das Gefühl dem Verstand Orientierung gibt: DANN lernt Gehirn am schnellsten.
Die Mathematik böte –mehr als viele andere Fächer– die Möglichkeit, dass beide lernen: das Gefühl und der Verstand. Denn immer passt hier die ganze Welt –ob wir sie zeichnen oder rechnen– auf ein kleines Stück Papier.
Gerade wenn es um die Mathematik geht, gibt es am Ende keinen Zweifel. Keine zwei Meinungen darüber, was richtig ist oder falsch. Beide, Gefühl und Verstand treffen sich in ein und demselben Ergebnis.
Die Mathematik ist beides zugleich: Absolutes Wissen und Handwerkszeug, um uns mit ihm ins Dunkel vorzutasten.
Fazit
Viele schöne Eigenschaften machen die Mathematik einzigartig. Und damit könnte auch das Fach „Mathematik“ einzigartig unter allen Fächern sein. Es könnte Einheit herstellen, wo wir die Welt zerrissen haben. Die Gesellschaft, aber auch uns selbst.
Wenn DAS unser Ziel wäre, dann müssen wir Abschied nehmen von diesem einen Glaubenssatz, der sagt, wir müssten beim Lernen alles zuerst in seine Einzelteile zerlegen und es beim Lernen aus diesen wieder zusammensetzen.
Wir dürften beide –die Welt, aber auch uns selbst– intakt lassen. Die Mathematik könnte uns lehren, dass es zwei Arten gibt, die Dinge zu verstehen. Und dass diese beiden keine Feinde sind, keine Gegensätze, sondern dass sie sich wunderbar ergänzen können.
Polarisation der Aufmerksamkeit
1. Aufsatz zu Schlüsselbegriffen der Montessori-Pädagogik
Die Polarisation der Aufmerksamkeit im Kontext der Menschenbildes Maria Montessoris
Maria Montessori sieht Kinder mit den Augen einer beobachtenden Ärztin, gläubigen Philosophin und einfühlsamen Pädagogin.
„Das Mädchen wiederholte die gleiche Tätigkeit mehr als vierzig mal, trotz einiger Störungen seitens der Gruppe. Danach wirkte das Mädchen glücklich, entspannt, zufrieden und wandte sich ebenso glücklich, entspannt und zufrieden anderen Kindern zu.
Maria Montessori
„Diese Beobachtung ließ zum einen darauf schließen, dass es sich um eine außerordentlich intensive Auseinandersetzung mit dem Gegenstand handelte, bei der die Konzentration des Kindes bis zur völligen Isolation von der Außenwelt führte, und zum anderen, dass etwas im Inneren des Kindes geschah, was sich auf seine Befindlichkeit und auf sein Verhalten anderen gegenüber auswirkte, offensichtlich Gefühle wie Freude, Heiterkeit, Ausgeglichenheit.“
Fischer S. 36
Weiter beobachtet sie, dass sich das Kind im Anschluss …
„[…] gedrängt fühlt, eine Beziehung zu den Menschen seiner Umgebung herzustellen, sich Erziehern/Lehrern und Kindern freudig zu zuwenden, um sich mit ihnen auszusprechen.“
Fischer S. 37
Das, was sich da in dem Kind abspielt, nennt Maria Montessori Polarisation der Aufmerksamkeit (im Folgenden kurz PdA). Die große Zahl zentraler Begriffe ihres pädagogischen Ansatzes, die Maria Montessori mit diesem Phänomen in Beziehung setzt, mag Indiz dafür sein, welch große Bedeutung sie dieser zumisst:
- Normalität
- Vorbereitete Umgebung
- Freie Wahl der Arbeit
- Freiheit und Disziplin
- Friedenserziehung
- Deviation
- usw.
Maria Montessori webt alles, was sie von den Kindern über das Lernen lernt, in ihr Menschen-Kinder-Bild ein:
- Jedes normale Kind ist von Hause aus neugierig. Es will lernen und will sich selbst entwickeln. Kein gesundes Kind muss also zum Lernen überlistet, überredet oder gar gezwungen werden.
- Das normale Kind hat die Fähigkeit, sich dem eigenen Wachstum hinzugeben.
- Jedes Kind trägt in sich selbst den eigenen Weg. Die Umgebung selbst ist sein Lehrer. Aufgabe von Lehrern und Erziehern ist es, dafür zu sorgen, …
- dass die Welt nie zu klein ist, so dass das Kind wachsen kann und nie zu groß, damit es sich nicht verliert.
- dass die Welt, in der das Kind lebt, immer Herausforderung ist , aber nie Überforderung;
- dass die Welt sich selbst erklärt: hierzu braucht es Vorbilder und Strukturen;
- dass das Kind sich als relevant und kompetent erfährt;
- dass das Kind nicht von einem Überangebot an Reizen von den Dingen abgelenkt wird, die ihm in dieser Lebensphase weiterhelfen.
Solange ein Kind alles vorfindet, was es für seine Entwicklung braucht, und solange es den ihm eingeschriebenen Weg in Freiheit und Selbstbestimmung gehen kann, solange es also in Frieden mit seiner Umwelt lebt, trägt es diesen Frieden, den es leben darf, auch hinaus in die Welt.
Wo wir also PdA beobachten, wissen wir, dass hier gerade Lernen gelingt. Mehr noch: dieser Gipfel menschlichen Lernens ist für Maria Montessori „Normalität“, in dem Sinne, dass der Mensch (das Kind) hier gerade voll und ganz Mensch (Kind) ist. Und es geht um mehr, als um Lernen im Sinne von „Sich-Wissen-Aneignen“. Das Kind konstruiert sich gerade selbst; generell in jedem Lernen, und ganz besonders in dessen höchster Vollendung: Hier geht es nicht nur um den Verstand, sondern um die ganze Person.
„Weil die Kinder etwas bis zum letzten Detail sorgfältig tun wollen, und ihre Übungen immer exakter ausführen, betrachtet Montessori die PdA … als einen Teil der Charakterentwicklung“.
Fischer S. 37
„Die PdA gilt für Maria Montessori als Ursprungsort des elementaren Ordnungs- und Entwicklungsprinzips menschlicher Personalität, die dem Aufbau einer Mitte dient, welche den Menschen zentriert und ihn befähigt, über sich selbst in Verantwortung zu verfügen“
Holstiege 1983 S. 174 und Fischer S. 37
„Sie (die PdA) wirkt auf den ganzen Menschen und macht ihn in besonderer Weise gemeinschaftsfähig und gemeinschaftswillig.“
Fischer S. 37
„Ziel ist für Maria Montessori das normalisierte , d.h. psychisch gesunde Kind, das ist der Lage ist, moralisch und sozial verantwortlich zu handeln.“
Fischer S. 37
Lernen heißt sich selbst konstruieren. Das ist harte Arbeit und der einzige und zugleich höchste Lohn ist: ein besseres ich selbst. Besser nicht im moralischen, sondern im existenziellen Sinn.
„Es ist entscheidend, sich ständig der Tatsache bewusst zu sein, dass lernen nicht dadurch erfreulich wird, dass man es trivialisiert, indem man es einfach oder angenehm und lustig macht. Die Härten und Gefahren des Kletterns am Felsen geben wahrscheinlich ein besseres Modell für die Lernfreude ab, als die verkünstelten Lehrtechniken, die auf eine hedonistische, dem Fluchtgedanken nahestehende Konzeption der Freude zurückgehen.“
Fischer S. 44
Deviation
Im Umkehrschluss ist das Fehlen von dieser (höchsten) Normalität zwangläufig Deviation, Abweichung. Fehlen diese (täglichen) kontruierenden Momente, fehlen für Maria Montessori wenigstens teilweise die Voraussetzungen für menschliche Entwicklung:
Eine Schule, die tiefe Konzentration ermöglicht, würde gleichzeitig Freude bereiten. Im Grunde ist es so, dass jede Arbeit, die kein Flow ermöglicht, auf einer Skala der sozialen Kosten sehr hoch eingestuft werden müsste, da sie zur menschlichen Stagnation beiträgt und entsprechend das Bedürfnis nach äußeren Belohnungen oder billigen Erregungserlebnissen erhöht, welche das Wachstum von Fähigkeiten erstickt.
Darauf resultiert als Arbeitsauftrag für die Forschung, experimentell herauszufinden, welche Kombinationen von Anforderungen und Fähigkeiten für ein Schulzimmer, für ein Quartier oder für eine Wohnung vorgesehen werden können, so dass möglichst viele Menschen Zugang zu Flow haben.
Fischer S. 44-45
Können Kinder diese Momente nicht erleben, starren sie nicht nur einem Mangel in den Rachen. Nein! Wir müssen stärker formulieren: Dem Kind wird Gewalt angetan.
„Andererseits weisen die schwerwiegenden Auswirkungen von Flow Entzug darauf hin, dass manche Schüler eine subtile Form von Folter erleiden, wenn sie an autotelischer Tätigkeit gehindert werden, was das Gefühl zur Folge haben kann, sich grundlos extrem müde, schläfrig, reizbar und niedergeschlagen zu fühlen oder vermehrt unter Kopfweh zu leiden, aber auch Konzentrationsschwäche oder das Gefühl, zu einer Maschine geworden zu sein.“ …
„Deshalb lässt sich vermuten, dass zwischen Entzug von Flow und gedanklichen Störungen, welche bis zur Hospitalisierung führen können, eine Beziehung besteht.“
Fischer S. 40
Das Flow-Phänomen nach Mihaly Csikszentmihalyi
Das Lesen eines Buches kann den Leser in einer Weise gefangen nehmen, dass er die Weilt um sich herum komplett vergisst. Auch eine ganze Reihe von anderen Tätigkeiten ist in der Lage, Menschen in einen Zustand zu versetzen, in dem sie völlig in die Tätigkeit eintauchen, die sie gerade ausführen:
- Das Telefon, das unmittelbar vor mir auf dem Schreibtisch steht und laut um Aufmerksamkeit schreit, nehme ich gar nicht wahr und die Kollegen müssen mir auf die Schulter tippen, um mich in die Welt zurück zu holen.
- Mir fällt der wissenschaftliche Versuch ein, bei dem Versuchspersonen zählen sollen, wie oft ein Ball in einer Gruppe den „Besitzer“ wechselt. Über längere Zeit läuft ein als Gorilla verkleideter Mensch kreuz und quer durch die Szenerie. Die Hälfte der Beobachter sieht ihn gar nicht, so sehr geben sie sich der gestellten Aufgabe hin.
Mihaly Csikszentmihalyi nennt dieses Phänomen „flow“. Und er identifiziert eine Reihe von Aspekten, die Flow erzeugenden Aktivitäten gemeinsam sind. Dazu gehört zum Beispiel die optimale Passung von Anforderungen einer Aufgabe mit den Fähigkeiten der ausführenden Person. Befindet sich eine Person im Flow, spielt auch Zeit keine Rolle mehr. Stunden vergehen wie Minuten im Sog der Tätigkeit. Und obwohl diese den „Betroffenen“ mitunter höchste Anstrengung abverlangen, fühlen sie sich am Ende erholt. Was sie gerade erlebt haben, hinterlässt bei ihnen ein Gefühl des Glücks.
Insgesamt nennt Mihaly Csikszentmihalyi neun Punkte, von denen fünf eher den Voraussetzungen für Flow entsprechen und vier den Folgen:
- Die Ziele sind klar.
- Die Rückmeldung kommt sofort.
- Handlungsmöglichkeiten und Fähigkeiten entsprechen einander.
- Die Situation wird beherrscht.
- Die Aktivität ist autotelisch, das heißt, die Zielsetzung liegt in der Aktivität selbst.
- Die Konzentration steigt.
- Was zählt, ist die Gegenwart.
- Das Zeitgefühl verändert sich.
- Das Ich-Bewusstsein setzt aus.
Viele Menschen befinden sich sogar sehr oft in diesem Zustand – und dies vor allem beim Arbeiten am Computer:
„Im Flow-Zustand folgt Handlung auf Handlung, und zwar nach einer inneren Logik, welche kein bewusstes Eingreifen von Seiten des Handelnden zu erfordern scheint. Der Prozess wird als ‚einheitliches Fließen’ von einem Augenblick zum nächsten wahrgenommen, wobei der „Betroffene“ Meister seines Handelns ist und kaum eine Trennung zwischen sich und der Umwelt, zwischen Stimulus und Reaktion oder zwischen Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft verspürt.“
Csikszentmihalyi 1999a S. 59 in Hugentobler S. 8
„Mihaly Csikszentmihalyi definiert „Flow“ als die optimale Herausforderung an das Können und Wissen eines Menschen und seine Absorption durch diese Aufgabe. Hierbei wird die Freude, die entsteht, durch eine (vollzogene) innere Vorwärtsbewegung hervorgerufen“ … Wir wissen, dass wir uns verändert haben. In gewisser Weise sind wir dadurch innerlich komplexer geworden.“
Hugentobler 3
„Die Aktivität wird als einziges Fliessen wahrgenommen, was schlussendlich auch namensgebend für diesen mentalen Zustand, den „Flow“, war.“
Hugentobler, S. 18
Autotelische Aktivitäten führen zum Flow-Erleben und wurden von Teilnehmern in mehreren seiner Befragungen als dem Entwerfen und Entdecken von etwas Neuem, dem Erkunden eines fremden Ortes und dem Lösung eines mathematischen Problems sehr ähnlich eingestuft.
Eine Aktivität, die einem Freude bereitet, vermittelt das Gefühl kreativen Entdeckens, des Bewältigens von Anforderungen, des Lösens von Schwierigkeiten. Wer eine Aktivität in dieser Weise wahrnimmt, neigt dazu, aus ihr selbst Freude zu beziehen. (Fischer S. )
Man nimmt sich nicht mehr als unabhängig von der verrichteten Tätigkeit wahr, Handlung und Bewusstsein verschmelzen. (vgl. Hugentobler, S.18)
Deine Konzentration ist vollständig. Deine Gedanken wandern nicht herum. Du denst an nichts anderes: du bist total in deinem Tun absorbiert. Deine Energie fließt sehr leicht. Du fühlst dich entspannt, angenehm und energievoll.
Csikszentmihalyi 1991, 3 S 63, 91 f. in Fischer S. 39
Ja sogar die Zeit läuft anders.
Während des Flow Erlebnisses braucht man keine Ziele oder Belohnungen, die außerhalb seines Selbst liegen.
Fischer S. 40
„Jemand, der lernt, Flow zu erleben, wo immer er oder sie gerade ist, wird sich sowohl autonom als auch weltverbunden erleben, und weniger extrinsische Anreize bauchen, um sich den Härten der Existenz zu stellen. Ein solcher Mensch erreicht eher den Punkt, an dem er seine Fähigkeiten mit der Umwelt in Einklang bringen kann und sich in Harmonie mit der Welt befindet.
„Menschen hingegen, die keine Flow-Erfahrungen machen, werden sich verstärkt Ersatzbefriedigungen mit Flucht oder Konsumcharakter zuwenden und sich selbst entfremden. Deshalb sind Lösungen zu suchen, die so vielen Menschen wie möglich ein Muster des persönlichen Wachstum nahebringen.“
Fischer S. 40-41
Was passiert bei Flow im Gehirn?
Natürlich ist es interessant, zu verstehen, was genau bei Flow im Gehirn vor sich geht.
Da zum einen die Bedeutung der verschiedenen im Gehirn gemessenen Wellen bekannt ist, und zum anderen mittlerweile Flow gezielt im Labor ausgelöst werden kann, und man so die damit verbundenen Gehirnströme messen kann, sind wir in der Lage, objektiv zu beschreiben, was beim Erleben von Flow in einer Person geschieht:
„Wird das unterschiedliche Verhalten von Hirnwellen mit oder ohne Flow analysiert, lässt sich sagen, dass sich Theta-, Midrange-Beta- und High-Beta-Wellen im Flow-Zustand erhöhen. Es könnte also die Aussage gemacht werden, dass sich die Testpersonen im Flow entspannter fühlen (Theta), konzentriert und fokussiert auf die Aufgabe (Midrange-Beta) oder angespannt sind (High-Beta).“
Hugentobler, S. 133
Die Gehirnströme erzählen uns davon, dass es zwei Arten von Flow zu geben scheint:
So steigt beim Lesen eines Buches zum Beispiel der Anteil der Alpha-Wellen signifikant an. Dies deutet auf Entspannung hin. Beim Spielen eines Lernspiels hingegen sinkt der Anteil der Alpha-Wellen, woraus man den Schluss ziehen kann, dass die Person im Flow weniger entspannt ist als ohne Flow. Zur Unterscheidung werden die beiden Zustände in Slow Flow und Fast Flow unterteilt. Slow Flow für die weiche Form, die eine Alpha-Welle darstellt, Fast Flow für die kantige, schnelle Wellenbewegung einer Beta-Welle, die Anspannung widerspiegelt (vgl. Hugentobler S. 149).
Doch letztlich erzählen uns auch die Gehirnströme wieder nur von den Wirkungen von Flow: Entspannung, Konzentration etc. Die eigentliche Geschichte, der eigentliche Grund hinter Flow, bliebt weiterhin im Dunkeln.
Es sei denn, wir fragen nach dem Zusammenspiel von Bewusstsein und dem Unbewussten. Und genau das scheint Mihaly Csikszentmihalyi ebenfalls zu tun. Denn immer wieder spricht er von den Auswirkungen von Flow auf …
- das Bewusstsein in Bezug auf die Umwelt,
- die eigene Person und
- die Tätigkeit.
Zusammenspiel von Bewusstsein und dem Unbewussten
Ein Neurobiologe aus Freiburg formuliert provokativ: „Unterrichtet nicht den Menschen, sondern das Tier“. Sind wir nicht immer beides: Mensch und Tier, gewissermaßen ‚zweieiige siamesiche Zwillinge‘? Es scheint, als würden wir in der Schule immer nur ersteren unterrichten.
„Durch das Eintauchen in eine Tätigkeit verschmelzen Handlung und Bewusstsein. Man ist sich seiner Handlungen zwar bewusst, aber nicht mehr seiner selbst. Somit gibt es keine dualistische Perspektive mehr“
Csikszentmihalyi 1999a, S. 61 in Hugentobler S. 18
„Die Handlung, die ausgeführt wird, geschieht fast automatisch, und es wird nicht mehr darüber nachgedacht, wie vorgegangen werden soll. Man verliert die Außensicht gänzlich und ist nicht in der Lage zu reflektieren.“
Hugentobler S. 18
„Was gewöhnlich im Flow verloren geht, ist nicht die Bewusstheit des eigenen Körpers oder der Körperfunktionen, sondern lediglich das Selbst-Konstrukt, die vermittelnde Grösse, welche wir zwischen Stimulus und Reaktion einzuschieben lernen.“ (Csikszentmihalyi 1999a, S. 67) Hiugentobler S. 18)
Die Abwesenheit des Selbst bedeutet nicht, dass jemand die Kontrolle über seine psychische Energie aufgibt oder nicht mehr wahrnimmt, was eigentlich vorgeht. Tatsächlich spielt das Selbst in diesem Zustand eine sehr aktive Rolle, indem es sich derart auf die Tätigkeit im Flow fokussiert, dass es selber in den Hintergrund gelangt. (Hugentobler S. 19)
Die Symptome von Flow lassen uns ahnen, dass es hier um beide geht. Denn …
- Tiere kennen keine Zeit. Sie leben im Jetzt.
- Normalerweise haben Tiere keinen Lehrer. Sie lernen selbst. Sie lernen autotelisch.
- Tiere sind sich ihrer selbst nicht bewusst und haben keine Außensicht.
Sind etwa die beiden Paare
- Mensch – Tier
- Bewusstsein – das Unbewusste
… im Grunde nur ein einziges? Tritt Flow bzw. Polarisation der Aufmerksamkeit dann auf, wenn beide vereint in eine Richtung laufen, ohne dass der eine den anderen schleifen oder bremsen würde? Ist hier der Mensch glücklich, weil auch das Tier auf seine Weise lernen darf und deshalb glücklich ist? Finden in diesen Momenten beide zu einer harmonischen Einheit und laufen im Gleichschritt, ohne dass einer sich vernachlässigt fühlen würde?
Flow und Sucht
„Menschen, die in einer Tätigkeit Flow-Erfahrungen gemacht haben, suchen nach weiteren solchen Erlebnissen. Dies kann sich im Extremfall zu einer Sucht ausweiten.“
Csikszentmihalyi und Aebli 2005, S. 99 aus Hugentobler S. 47
„So toll dieser Zustand für den PC-Benutzer auch sein mag, trägt er hier ein grosses Suchtpotential mit sich. … In diesem Kontext nennt sie auch das Suchtverhalten, bei dem auf der Suche nach Flow nur noch einem einzigen Tätigkeitsfeld nachgegangen wird und andere Tätigkeiten dabei ignoriert werden. Neben der Suchtgefahr nennt sie beispielsweise auch eine Richtungslosigkeit, die durch die intrinsische Motivation entstehen könnte, da eine lernende Person durch den Fokus auf den gerade interessanten Reiz das Endziel aus den Augen verlieren könnte.“
Hugentobler S. 47
Wer könnte es den beiden verdenken? Der siamesische Zwilling sucht die Einheit seiner selbst. Und wenn er sie nicht im richtigen Leben finden kann, wird diese Suche eben zur Sucht.
„Besonders Kinder und Jugendliche verbinden einen grossen Teil ihrer freien Zeit mit Computerspielen. Dabei lernen sie komplexe Zusammenhänge, sind motiviert und vergessen darüber teilweise sogar die Zeit.“
Hugentobler S. 36
Unbewusstes Lernen ist Lernen, ohne dass eine Kontrollinstanz vergäbe, welche zwei Punkte hier in Beziehung gesetzt werden wollen. Unbewusstes Lernen ist per Definition Lernen in allen Zusammenhängen gleichzeitig. Und genau das ist eine Kernkompezenz des Tieres.
Was ist hier Ursache und was Wirkung? Wenn Menschen Flow suchen, dann suchen sie, wenn unsere Vermutung stimmen sollte, innere Einheit. Verweigert die Welt den Menschen, die Schule den Kindern, solche Momente, dann werden sie sich diese Einheit dort suchen, wo sie angeboten wird. Diesem Konflikt können wir nur dann begegnen, wenn sich Bildung dem Leben und der Konkurrenz stellt. Wenn sie ihren Bildungsanspruch vom Menschen auf das Tier erweitert und beide abholen will.
Kosmische Erziehung
2. Aufsatz zu Schlüsselbegriffen der Montessori-Pädagogik
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Rettung der Welt
Es geht in der „Kosmischen Erziehung“ um nicht mehr und nicht weniger als die Rettung der Welt vor dem Menschen durch den Menschen.
„Erziehung ist abhängig vom Glauben in die Kraft des Kindes und von der Gewissheit, dass das Kind in sich die Fähigkeit besitzt, sich zu einem Wesen zu entwickeln, das uns überlegen ist.“
Maria Montessori in Macdonald 263
„Dieses Individuum würde eine kosmische Vision besitzen, das sich des Details mit dem Wissen des gesamten Bildes bedient. Es würde eine Vision sein, die über unsere eigenen Möglichkeiten hinaus führt.“
Macdonald, 263-264
Maria Montessori sieht die Entwicklung des Universium, der Welt, der Natur und des Menschen eingebettet in einen einzigen großen Plan. Jeder und alles hat seinen Sinn und Rolle. Die Bestimmung einer jeden Art beschränkt sich darin nicht darauf, sich selbst zu erhalten und entwickeln, sondern jeder trägt zum großen Ganzen bei.
„Jede Art wirkt für das Ganze und vom Werk eines jeden Einzelnen hängt die Lebensmöglichkeit des Ganzen ab. Diese Kosmischen Aufgaben sind weise unter alle Verhaltensformen verteilt worden, die unwiderstehlich zu einer bestimmten Aufgabe drängen. welche der Gemeinschaft dient.“
Maria Montessori, Vortragstext 1945, S. 1
Auf den ersten Blick scheint es, als sei der Mensch die einzige wirklich parasitäre Lebensform. Doch diesem Blick widerspricht Maria Montessori vehement:
„Es ist evident, dass die komische Theorie auch den Menschen zu den wirkenden Kräften der Schöpfung rechnet. Wir müssen diese seine Verhaltensweise beobachten, um seine wesentliche Funktionen herauszufinden, die zu der Erhaltung und der Entwicklung der Erde beitragen.“
„Seine Intelligenz ist fast allmächtig geworden. … Er ist gleichsam fähig, die Wunder einer neuen Schöpfung zu verwirklichen.“
Maria Montessori, Vortragstext 1945, S. 2
Maria Montessori misst dem Menschen also nicht nur keine negative Rolle bei, sondern ganz im Gegenteil eine positive und eine große noch dazu: Der Mensch soll die Erde erhalten. Das Problem ist, dass der Mensch sich seiner Rolle nicht bewusst ist. Er ist wie die Koralle, die nichts davon weiß, dass sie Kontinente erschafft. Es ist deshalb die Aufgabe des Menschen, sich seiner Rolle zuerst bewusst und ihr dann gerecht zu werden.
Für Erwachsene ist dieser Perspektivenwechsel sehr sehr schwer. Deshalb müssen wir beim Kind anfangen. Dem Kind müssen wir die Augen und das Herz öffnen für diese wunderbare Aufgabe des Menschen. Und genau hier hat die „Kosmische Erziehung“ ihren Platz und ihre Rolle.
Dabei geht es nicht darum, die Kinder über den „bösen, bösen Menschen“ aufzuklären. Denn der Kampf gegen etwas oder gar sich selbst könnte nie zu einem guten Ergebnis führen. Höchste Aufgabe der komischen Erziehung ist es, dass die Menschheit lernt, die hervorragenden Leistungen und Verdienste aller Menschen zu würdigen:
„Heute ist er (der Mensch) nicht „gerüstet“, die aus seiner „Supra-Natur“ bestehende Umgebung zu beherrschen, welche er selbst auf der Erde geschaffen hat. Er hängt blind und unbewusst ab von Umständen, die er selbst bereitet hat, als er sich seiner Aufgabe auf der Erde nicht bewusst war. Die Menschen achteten nicht auf die Menscheit. Die Wissenschaft studierte zuerst das Leben im Allgemeinen.
Sie muss nun das Leben des Menschen studieren….Der Plan einer Erziehung, die Rettung bringen will, muss auf den Gesetzen, die das menschliche Leben leiten, gegründet sein und muss alle potentiellen Energien, die im Menschen schlummern, realisieren…. doch der veränderte und von den Fesseln der Unwissenheit, der Schwäche, der psychischen Deviationen und der Ignoranz befreite Kindheit ist es möglich, zu handeln, in dem man eine neue Form intellektueller Bildung vermittlet und man neue Gefühle der Menschlichkeit kultiviert. Dieser letztere Teile, die Bildung, welche das Studium darstellt, das in den Schulen durchgeführt werden muss, der universale Lehrplan, der den Verstand und das Gewissen aller Menschen in einer Harmonie vereinen kann, ist es, was wir durch die „Kosmische Erziehung“ beabsichtigen.“
Maria Montessori, Vortragstext 1945, S. 4
Der Mensch darf nicht gegen sich selbst kämpfen. Weder in seiner eigenen Person, noch in den anderen. Denn diesen Kampf wird er verlieren. Er muss sich deshalb selbst zuerst voll und ganz verstehen und dann mit dem Höchsten, was in ihm (und allen anderen) steckt, die Probleme lösen, die er heraufbeschworen hat, als er –sich seiner selbst völlig unbewusst– eingriff und für sich selbst gegen seine eigene Art und gegen die Natur kämpfte.
„Wie sollen wir die Menschheit schätzen, wenn wir nicht vor allem ihre Verdienste, ihre schöpferischen Anstrengungen, ihren Gehorsam gegenüber den kosmischen Gesetzen betrachten, welche die Gesellschaft unbewust zu einer tatsächlichen Union vorangetrieben hat, die heute die ganze Menschheit in entscheidender Hinsicht verinigt?“
S. 5
„Eine glühende Bewunderung dieser wunderbaren Menschheit muss das grundlegende Gefühl der neuen Generationen werden. Sie müssen den Stolz und das Vorrecht empfinden, zur Menschheit zu gehören. Der Mensch muss als ein geheiligtes Wesen der Schöpfung erscheinen und als das größte Wunder der Natur, und das Gefühl der „Dankbarkeit und Liebe „ für alle die Vorteile, die wir im Leben genießen, muss entstehen mir jedem Schritt in das Feld der Bildung hinein. Von keinem Gegenstand darf Gebrauch gemacht werden ohne den Gedanken, dass ein unbekannter Mensch ihn erzeugte. … Die Menschheit zu verletzen ,muss bedeuten, blind und barbarisch unwissend zu sein.“
S.5
„Durch diese Erziehung muss die Überzeugung entstehen, dass die wechselseitige Hilfe und den Menschen die direkteste Form universalen Schutzes ist.“
S. 6
Kosmische Erziehung ist das Lehrkonzept der 2. Entwicklungsstufe
Jede Entwicklungsstufe hat bei Montessori –entsprechend den Entwicklungsstufen– ein eigenes pädagogisches Konzept, dem jede Methode und jedes Werkzeug und Material zugeordnet ist. Die Kosmische Erziehung ist das Konzept für die 2. Entwicklungsstufe. Es ist jedoch nicht nur ein Konzept, das über allen Fächern seht, in die sich der Unterricht in der E2 aufgliedern würde, sondern – will man pointiert formulieren – das Fach. Das einzige Fach.
In der kosmischen Erziehung geht es darum, dass die Kinder die Welt in ihrer Gesamtheit und Einheit verstehen. Dass sie verstehen, dass alles seinen Sinn und alles und jedes und jeder seine Rolle hat. Die Kinder sollen das Universum in allen seinen Aspekten lieben, Verantwortung für die Welt lernen und Respekt von den Leistungen aller Lebewesen bekommen. Dazu gehört auch, dass sie den Menschen, dass sie alle Menschen lieben lernen. Sie sollen erfahren und verstehen, dass alles, von dem sie umgeben sind, die Leistung anderer ist. Anderer Menschen aber auch anderer Lebewesen, die jedes einen Sinn hat und hatte, so wie sogar jeder Stein seine Rolle im Großen Ganzen erfüllt.
Das Studium der Natur, Naturwissenschaften und Mathematik sind nicht vom Studium von Kultur und Geschichte zu trennen. „Sind nicht zu trennen“ im Sinne von „sollen nicht getrennt werden“. Ihre Einheit ist zu erhalten bzw sie ist wiederherzustellen. Denn die Welt wurde in den Köpfen der Menschen und Wissenschaftler zerrissen. Und wenn wir nicht aufpassen und nicht schnell handlen zerreißt wir sie tatsächlich. Der einzige und schnellste Weg den Maria Montessori sieht, erfordert trotzdem viel Geduld. Wir müssen die Welt in den Köpfen derer, die in der Welt von morgen Verantwortung tragen – der Kinder – als Einheit auferstehen lassen.
Maria Montessori strebte eine bessere Welt an. Nur Kinder, denen keine Gewalt angetan wird, Kinder also, die eigenmotiviert (autotelisch) lernen und die ihren eigenen Weg gehen und sich selbst beim Lernen entfalten (im Gegensatz zum Erlernen von aufgezwungenem Wissen) können Träger des Friedens sein. In der kosmischen Erziehung müssen beide –das Kind und die Welt– heil bleiben. Und genau das ist auch die Blaupause für die kosmische Erziehung, das (einzige) Fach der 2. Entwicklungsstufe.
Die Aufgabe der Kunst und damit der Künstler ist es, Einheit zwischen Bereichen unserer Welt herzustellen, die andere zerrissen haben. Wenn wir dieser Definition etwas abgewinnen können, dann müssen wir die Kosmische Erziehung als Kunst bezeichnen. Dann ist es nur logisch, wenn die kosmische Erziehung keine Trennung zwischen Kunst, Kultur und Naturwissenschaft vornimmt. Die Kosmische Erziehung ist ein einziges Fach, bei dem alle Bereiche ineinander fließen. Jede formale Trennung zwischen den verschiedenen Perspektiven auf die Welt ist hier fehl am Platz.
Oberstes Prinzip der Kosmischen Erziehung ist die Einheit: Einheit der Welt, Einheit des Kindes, Einheit des Fachs. Konsequenter Weise müssen auch alle Methoden und Werkzeuge diese Einheit sichtbar machen.
Was zeichnet die Kinder der zweiten Entwicklungsstufe aus?
Die #metoo, Feminismus und viele andere Bewegungen wollen Bewusstsein schaffen. Bewusstsein dafür, dass ganze Gruppen von Menschen in einer feindlichen Welt aufwachsen. Dass Übergriffigkeit und Nötigung, ja sogar Vergewaltigung oft sogar von denjenigen Menschen nicht wahrgenommen werden, die unmittelbar daneben stehen.
Ein wiederkehrendes Phänomen in diesem Zusammenhang ist, dass sich die Opfer schuldig fühlen. Und das was andere mit ihnen machten, zeichnet ihnen das Bild dessen, der sie selbst sind: Objekt.
Gewalt ist zu sehr „Normalität“, als dass sie uns ins Auge springen würde. In vielen Fällen dürfen wir trotzdem davon ausgehen, dass zumindestens den Tätern bewusst ist, dass sie hier Grenzen überschreiten.
In der Schule geschieht leider oft Ähnliches. Das eigentlich Schlimme ist, dass die Kinder hier zu etwas gezwungen werden, was sie selbst gerne täten: Lernen. Und indem sie gezwungen werden, wird ihnen jede Freude am Lernen, manchmal sogar am Leben genommen. Denn wie sollen sie lieben, wozu sie gezwungen werden?
Gerade in der Schule wird ihnen genommen, sich selbst zu vertrauen und sich selbst entwickeln zu wollen. Hier werden Kinder nur allzu oft in Formen gepresst. Die, die hier pressen sind sich keiner Schule bewusst. Alles was sie tun geschieht –ohne jeden bösen Hintergrdanken– zum Besten dieser Kinder. Kein Wunder, wenn starke Kinder sich trotzdem verweigern, bis dahin, dass sie lieber in dieser Welt scheitern, als sich brechen zu lassen.
Die Kosmische Erziehung will diesen Kreislauf der „Erziehung“ durch – brechen und die Kinder sich selbst zurückgeben. Denn die Kinder tragen bereits diese Kraft in sich, jeden Tag neu über sich hinaus zu wachsen. Schule kann und darf nicht mehr tun, als diese Kraft zu hüten und zu pflegen. Lehrer und Erzieher sind zum Schutz bestellt und Diener.
Wer sind nun also die Kinder der 2. Entwicklungsstufe. Was macht sie aus?
„Maria Montessori erkannte, dass, wenn Kinder sich dem Alter von sechs Jahren nähern, sie sich physisch und psychisch verändern. Ihre Körper werden schlanker und sie scheinen eine grenzenlose Energie zu besitzen. Das absorbierende Lernen verblasst wie auch die bisher vorherrschenden sensiblen Perioden und die sensorische Erforschung der unmittelbaren Umgebung fasziniert die Kinder nicht mehr im gleichen Maß wie vorher.
Jetzt entwickeln sie erweiterte Entfaltungsmöglichkeiten:
- Abstraktion
- Logisches Denken
- Vorstellungskraft
… werden ihre neuen Stärken. Das Erforschen der Ursachen von Phänomenen wird zum neuen Brennpunkt dieser Kinder der zweiten Entwicklungsstufe.“
Macdonald S. 262
„Wir erkennen, dass die Natur diese Zeit als eine Periode des Erwerbs der Kultur geschaffen hat … Wir sind mit einer beträchtlichen Entwicklung des Bewusstsein konfrontiert, die bereits stattgefunden hat; aber jetzt richtet sich dieses Bewusstsein nach Außen, die Intelligenz wird extrovertiert, und es gibt auf Seiten des Kindes von außergewöhnliches Verlangen, die Ursachen der Dinge zu erfahren. Wissen kann am Besten dort vermittelt werden, wo es ein Verlangen zum Lernen gibt, und daher ist dies die Periode, in der die Saat von allem gesät werden kann, denn der Verstand des Kindes ist wie ein fruchtbares Feld, bereit, das aufzunehmen, was zur Kultur keimen wird.“
Maria Montessori, 1973, S. 4 zitiert aus Macdonald S. 263
„Maria Montessori hat sehr früh in ihrer Arbeit mit Kindern erkannt, dass sie sich selbst aufbauen – Erwachsene können die angemessene Umgebung und Mittel für den Weg der natürlichen Entwicklung bereit stellen oder aber Hindernisse aufbauen. Keinesfalls aber können sie diesen Aufbau FÜR das Kind durchführen.“
Macdonald 263
Pädagogische Tools
Alles an und in der kosmischen Erziehung muss in irgend einer Weise Einheit stiften. Es gilt, Zusammenhänge und Beziehung herzustellen, jedes Detail muss in möglichst viele Kontexte gestellt werden. In welche Aktivität eine Darbietung dann müdet, bestimmt das Kind selbst. Obwohl der Begriff Isolation der Eigenschaften, rein sprachlich Trennung zu suggerieren scheint, dient auch dieser Prinzipz immer nur der Einheit. Um im Bild zu sprechen: Wenn wir unsere Aufmerksamkeit den Adern zuwenden, öffnen diese unserem Bewusstsein eine (neue) Perspektive auf den ganzen Körper. Vielleicht sollten wir deshalb besser nicht von Isolation der Eigenschaft sprechen, sondern von „Isolation von Zusammen-hängen“.
Didaktik
Jedes didaktische Mittel trägt in sich einen ganz spezielle Art von Einheit. Und diese Einheit ist mitnichten der einzige Kontext, in den ein Inhalt eingewoben werden kann:
- Panorama
- Vom Ganzen ins Detail
- Zirkuläre Zeitmessung und zirkuläres Lernen
- Lineare Zeitmessung
- Baum als Ordnungssystem
- Fenster zur Welt
Methodik
- Altersgemischte Gruppen
- Das Prinzip Verantwortung
- 3-Stufen Lektionen
- Geschichtenerzählen
- Bildtafel
- Modell
- Experiment
- Going Out
- Coming In
Last but not least: die Lehrkraft. Ihr soll das letzte Kapitel gewidmet sein.
„Die Lehrerin muss schön sein!“
„Es genügt auch nicht, dass die Lehrerin sich darauf beschränkt, das Kind zu lieben und es zu verstehen. Sie muss zunächst das Universum lieben und verstehen.“
Von der Kindheit zur Jugend, 32
Liegt einer Pädagogik oder Didaktik ein induktives Verständnis zu Grunde, der Glaube also, dass das Kind immer alle Aspekte des vorgestellten Themas verstehen müsse, und dass deshalb Inhalte aufeinander aufzubauen sind, hat dies gravierende Konsequenzen auch für den Lehrer. Ganz besonders für den Lehrer in der Entwicklungsstufe 2. Und damit für das Kind.
Denn die Schichtung von Inhalten führt dazu, dass die Lehrkraft die Möglichkeit der Freude an der Sache genommen wird und dass im Grunde nur noch Liebe für das Kind übrig bleibt. Denn welcher Lehrer liebt das 1×1 so sehr, dass ihm das Herz übergeht, wenn dieses den Kindern in Jahre dauernder Kleinarbeit näherbringen kann?
Wenn es also der Lehrkraft schwer gemacht wird, das Fach zu lieben, dann fällt es auch dem Kind nicht leicht, das Fach zu lieben. Denn die Begeisterung des Lehrers ist (neurobiologisch betrachtet) eine Grundvoraussetzung für Interesse und Begeisterung auf Seiten des Kindes.
Würden wir alle formalen Aspekte einer Montessori-Pädagogik penibel umsetzen, und „nur“ das (eine) Fach Kosmische Erziehung durch die vielen Fächer und induktives Lernen ersetzten, es könnte nicht funktionieren. Schlimmer noch: Die Chancen sind hoch, dass der innere Widerspruch, mit dem die Kinder jetzt konfrontiert sind, Schule als ganze unglaubwürdig werden ließe.
Im Grunde reicht ein einziges zentrales Fach (Mathematik), das sich dem Grundkonzept einer Einladung an die Neugier widersetzt und das die Kinder zwingt, dass Kinder, die durch jeden Aspekt dieser Schule sensibilisiert wurden, sich nicht nur dem Fach widersetzen, sondern auch allem, was mit ihm in Verbindung steht.
Das Grundverständnis von Welt, von Lernen, von Schule spiegelt sich im Lehrer wieder. Und jetzt wird auch verständlich, was Maria Montessori meint, wenn sie davon spricht, dass die Lehrerin attraktiv sein muss. Mit Attraktivität ist hier keine phyische Eigenschaft gemeint. Attraktivität hat etwas mit Haltung zu tun. Mit Neugier und Offenheit nicht nur für das Kind, sondern für alle Aspekte der Welt. Mit der Liebe zu allem, was sie /er den Kindern darbietet. Wer sich nur für das Kind interessiert, aber nicht auch für die Welt, taugt nicht zum Diener der Neugier, weil er selbst im Weg steht.